01.11.2009
Veröffentlichung eines Best-Praxis-Beispiels "Veränderungen ganzheitlich gestalten"

Veröffentlichung eines Best-Praxis-Beispiels im "Consulting 2010 - Das Jahrbuch der Unternehmensberatung"
Herausgeber: F.A.Z.-Institut
Erscheinungsdatum: November 2009
ISBN: 978-3-8981-736-2

Veränderungen ganzheitlich gestalten und richtig steuern


Von Ralph Wonnemann und Ekaterina Pashkova


Veränderungssituationen können ungeplant und ad hoc eintreten oder vorbereitet sein im Rahmen eines langfristig geplanten Prozesses. Die aktuelle, sehr plötzlich im Herbst 2008 aufgetretene Wirtschaftskrise, wie auch alle anderen turbulenten Unternehmenssituationen, erfordern ein rasches und konsequentes Handeln, um die operative und finanzielle Handlungsfähigkeit kurzfristig zu sichern. Allerdings wird in jeder Veränderungssituation - früher oder später - eine ausbalancierte Gestaltung zur zentralen Herausforderung für langfristigen Erfolg.

 

Insbesondere in kurzfristig eintretenden Veränderungssituationen werden die klassischen Maßnahmen ergriffen, um rückläufigen Umsatz zu kompensieren, Kosten zu senken und die Lage zu stabilisieren. Häufig sind diese Schritte einseitig ausgelegt und bringen nur kurze Entspannung; dennoch sind sie unabdingbar. Aber ohne Berücksichtigung weiterer Dimensionen wie der strategischen Ausrichtung und der Teamdynamiken können sie Widerstand auslösen, die weitere Umsetzung blockieren und auch grundlegend die Entwicklung des Unternehmens gefährden.

 

Langfristig erfolgreiche Unternehmen beherrschen sowohl die - zeitweise und situationsabhängig unvermeidbare - fokussierte Krisenreaktion als auch den ausbalancierten Veränderungsprozess, der sich in 4 Dimensionen (s. Grafik) gliedert:

 

Operative Bewältigung: Konzentration auf das Wesentliche, Flexibilität fördern

Primärziele in der Ad-hoc-Situation und in der Restrukturierung sind der Turn-Around, das Stoppen von Verlusten und der Abbau von Working Capital. Speziell in turbulenten Zeiten müssen sich andere Aspekte diesen Zielen unterordnen. Alles wird auf den Prüfstand gestellt und Zugeständnisse von allen Beteiligten gefordert.

 

Bei den Kosteneinsparungen ist ein selektives Vorgehen wichtig: keine "Rasenmähermethoden", sondern Einordnung der Einsparungsbemühungen in den Gesamtzusammenhang. Jeder Posten muss auf seine Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Notwendigkeit und Wechselwirkungen überprüft werden.

 

Schnelle Effekte können beispielsweise erreicht werden durch:

  • Reduzierung der Einstandspreise durch Nachverhandlungen, Lieferantenwechsel oder Anpassung der Preise auf die aktuellen Marktbedingungen
  • Streichung bestimmter unkritischer Ausgaben insbesondere im Bereich des sonstigen betrieblichen Aufwands
  • Verzicht (Stundung) auf freiwillige Sonderzahlungen wie Prämien, Boni etc.
  • Inanspruchnahme externer Hilfen wie z. B. Kurzarbeit
  • Aktualisierung der Produktionsplanung mit (vorübergehender) Stilllegung der Überkapazitäten und Freisetzung von Mitarbeitern
  • Rückholung von Wertschöpfung bei Subunternehmern zur Auslastung der eigenen Kapazitäten

Spätestens an dieser Stelle werden Zielkonflikte der operativen Bewältigung deutlich: während das Insourcing/Zurückholen von Wertschöpfung zeitweilig eigene Auslastung sichert, wird das Ziel einer Lean-Production in diesem Moment torpediert. Wirken sich die kurzfristigen Einsparmaßnahmen negativ auf das strategische Ziel des Unternehmens aus, z. B. auf die Qualitätsführerschaft durch Streichung von Qualitätsmanagement-Funktionen?

 

Um nachhaltig sinnvolle Veränderungen in der operativen Dimension zu erreichen, müssen nicht nur einzelne Kostenpositionen analysiert werden, sondern die Strategie sowie die Prozess- und Strukturorganisation des Unternehmens in die Betrachtung mit einbezogen werden. Die Kostensenkung ist dann kein Einmalvorgang sondern ein laufender Prozess der Effizienzsteigerung, bei dem in regelmäßigen Abständen neue Optimierungspotenziale definiert und umgesetzt werden. Wenn z.B. bei der operativen Kostensenkung im Materialaufwand in erster Linie versucht wird, die Einkaufspreise zu senken, so werden bei der strukturellen Kostenreduzierung das Material selbst, sein Produktionsdurchlauf und die gesamten Prozesse hinterfragt - vom Materialverbrauch oder Bestellvorgang bis zur Ausschussquote. Neben der ausreichenden Transparenz über die Kostentreiber in den Prozessen und Strukturen wird deren Wert für das Unternehmen definiert. Erst dann können nachhaltig sinnvolle Optimierungsansätze ausgearbeitet werden.

 

Strategische Ausrichtung: Neu positionieren, Marktanteile gewinnen

Insbesondere seit der Wirtschaftskrise 2008/2009 ist eine allgemeine Verunsicherung vieler Marktteilnehmer, der Unternehmen zu beobachten. Gefangen zwischen divergierenden Konjunkturprognosen und eigenem internen Handlungsbedarf fehlen häufig Kreativität und Mut, aus der bevorstehenden Marktbereinigung Vorteile zu ziehen.

 

Einige Unternehmen mit ausreichend finanziellen Ressourcen beginnen aber bereits, die Gunst der Stunde zu nutzen, um Marktanteile zu gewinnen und sich neu zu positionieren.

 

Veränderungssituationen und ganz besonders die andauernde Wirtschaftskrise sind der ideale Zeitpunkt für eine Neuausrichtung. Viele Unternehmen sind kaum noch handlungsfähig, reagieren restriktiv, kürzen ihre Ressourcen in der Marktbearbeitung und reduzieren ihre Flexibilität. Dadurch entsteht Raum für Gewinner, um sich als leistungsfähigerer Partner zu positionieren und Marktanteile zu erhöhen, auch durch Geschäftsübernahmen.

 

Dieses antizyklische Verhalten erzeugt eine große Aufmerksamkeit mit deutlich besseren Ergebnissen im Vergleich zu „Normalsituationen".

 

Strategische Ausrichtung, Profilierungsphilosophie und Marktbearbeitungsstrategie werden hinterfragt und angepasst.

Das Differenzierungsprofil des Unternehmens muss weiter geschärft werden. Die Alleinstellungsmerkmale sind nur dann erfolgsversprechend, wenn diese so spezifisch und individuell sind, dass:

  • ein gewisser Pionier-Faktor vorhanden ist, sei es aus Produkt- oder Marketingperspektive betrachtet
  • eine klare Trennung zwischen dem Unternehmen und dem Wettbewerb geschaffen und somit auch die Kundenbotschaft straff abgegrenzt ist
  • die Konkurrenz damit keine Möglichkeit hat oder sich schwer tut, in das gleiche Marktsegment oder Kundengruppe einzudringen
  • diese dem Kunden eine genaue Orientierung verschaffen und die Entscheidung erleichtern.

Direkt im Anschluss werden die Kundenkommunikation angepasst und Kundengewinnungsoffensiven gestartet. Gerade, wenn vieles unsicher ist, möchte der Kunde wissen, was ihm noch alles widerfahren kann. Hier ist es wichtig, Nachhaltigkeit der Kundenbeziehung, Sicherheit und Wertschätzung zu transportieren sowie eigene Stabilität sichtbar zu machen. Auch wenn der Kunde aktuell weniger kauft, muss er weiterhin - vor allem wenn er über ein großes Potenzial verfügt - regelmäßig gepflegt und an das Unternehmen gebunden werden.

 

Konsequente Ressourcensteuerung im Vertrieb ist jetzt unabdingbar, um auch die Kunden zu gewinnen, die bisher nicht erreichbar schienen.

 

Reflektiert man an dieser Stelle die Gesamtsituation des Unternehmens, so ist es eine gewaltige Herausforderung für das Management, die „Gewinner-Strategie" und gleichzeitig interne Restrukturierungsmaßnahmen erfolgreich umzusetzen. Die interne Kommunikation ist der Schlüssel dazu, die Mitarbeiter hierfür zu motivieren.

 

Sicherung der Finanzierung: Liquidität vor Rentabilität - Überleben, danach Profitieren

Laut IFO-Institut beklagten über 40% aller Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe im März 2009 eine zurückhaltende Kreditvergabe. Die Situation wird sich weiter verschärfen, wenn die aktuell schlechten Zwischenzahlen und die Jahresabschlüsse 2009 in die Bonitätsbewertung der Unternehmen eingeflossen sind.

 

Die unternehmerische Handlungsfreiheit ist heute - in einem bis dahin nicht existentem Maß - davon abhängig, sich selbst zu finanzieren oder seine Finanziers von seinem Vorhaben zu überzeugen.

 

Parameter dafür sind die Sinnhaftigkeit der Finanzierung, die eindeutigen Bonitätskriterien der Finanziers, die risikoadjustierte Preisbildung für Kredite und das Verhalten der Warenkreditversicherer. Diese gilt es zu kennen und bei allen Vorhaben zu antizipieren.

 

In der Krise gilt „Liquidität vor Ertrag": aber zunächst muss man wissen, wie die Liquiditätssituation aussieht und zwar nicht nur heute, sondern auch in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten. Sind Risiken und außerordentliche Liquiditätsabflüsse in den nächsten Monaten in die Planung eingeflossen? Wurden bereits die Gegenmaßnahmen zur Gegensteuerung/Stundung eingeleitet? Unbedingt notwendig sind insbesondere in Unternehmen mit knappen Finanzierungsspielräumen die Erstellung und zeitnahe Führung einer realistischen Planung und Simulation mit unterschiedlichen Szenarien; ein Stress-Fall gehört immer dazu.

 

Das besondere Augenmerk in den turbulenten Veränderungsphasen liegt zweifelsohne auf Steigerung der Eigenfinanzierungskraft durch Working Capital- und Investitions-Management. Die Maßnahmen sind darauf abgezielt, die gebundene oder latente Liquidität im Lager, bei Debitoren und Kreditoren zu identifizieren bzw. auszuschöpfen:

  • Bestände reduzieren durch operative und strukturelle Maßnahmen:
    • Abverkauf von Fertigerzeugnissen
    • Abbau der Vorräte u. a. durch restriktive Einkaufs- und Produktionsplanung
    • Reduzierung der Reichweiten (C-Artikel, Bestellrhythmusanalysen)
    • Sortimentsbereinigung (ABC-Kriterien, Kundenanforderungen)
    • Übergang auf Kommissionsläger
  • Forderungen abbauen durch Debitorenmanagement:
    • ABC-Clusterung nach Bonität und Zahlungssicherheit (im Zweifel „Verzicht auf Geschäft")
    • Einzug von überfälligen Forderungen
    • Schaffung von Anreizen für schnellere Zahlung
    • Einführung eines Forderungscontrollings und Intensivierung des Mahnwesens
    • Übergang zu Factoring
  • Kreditoren „neu" managen:
    • Lieferanten und Subunternehmen auf Liefersicherheit und Bonität prüfen
    • In-Sourcing
    • Zahlungslimits vorsichtig dehnen/ausschöpfen
    • Teilzahlungen und Zahlungspläne vereinbaren
    • Streckung von Dauerschuldverhältnissen wie Stundung von Banktilgungen, Streckung Leasing etc.
    Investitionen flexibel steuern:
    • Überprüfung (Stopp) aller laufenden Vorhaben bzw. deren Verschiebung
    • Finanzierung mit maximaler Laufzeit
    • Leasing statt Kauf

 

Die regelmäßige Kontrolle und Steuerung der Working Capital Performance hilft nicht nur gebundene Kapitalreserven freizusetzen, sondern verbessert auch Liquidität, verringert Kapitalkosten und hat dadurch positive Auswirkungen auf den Unternehmenswert, die Bonität und das Rating insgesamt.

 

Bei der Beschaffung/Stabilisierung der Außenfinanzierung bei Kreditgebern und Equity-Finanziers geht es um die Herstellung von Beurteilungssicherheit für deren interne Entscheidungen. Das Unternehmen muss nicht nur den Status-quo transparent darstellen, sondern auch unterschiedliche Entwicklungsszenarien wie Real, Best, Worst Case mit integrierten Planungsmodellen simulieren können. Diese Prognosen müssen insoweit belastbar sein, dass vorausschauendes Handeln sowie Abschätzung von negativen und positiven Folgen und deren Effekte realitätsnah abgebildet sind. Durch Unterlegung der Szenarien mit Gegenmaßnahmen und einem Zeitplan für die Realisierung gewinnt die Planung eine deutlich höhere Aussagekraft.

 

Die Planungs- und Controllingsqualität des Unternehmens wird zu einem entscheidenden Faktor für die Finanzierungsentscheidung und die Finanzierungskosten.

 

Insbesondere in der Kommunikation mit den Außenfinanziern rückt wieder die strategische Dimension des Balance-Modells in die Betrachtung. Gerade in Krisenzeiten ist es besonders wichtig, die Mehrstufigkeit des unternehmerischen Handelns (z.B. kurzfristige Maßnahmen im Verhältnis zur strategischen Dimension) darzulegen und zu differenzieren.

 

Auch für die bereits dargestellten „Gewinner-Strategien" finden sich trotz (oder besser „wegen") der Krise verstärkt vertrauenswürdige Finanziers.

 

Förderung der Motivation: Vertrauen schaffen und Mitstreiter gewinnen

Das Verhalten des Menschen wird geprägt durch sein erlerntes Wissen und den Erfahrungsschatz. Insbesondere das intuitive Moment ist dominiert durch physische Erfahrungen, konkret eine Situation schon gespürt zu haben.

 

Krisensituationen, wie die aktuelle, hat die Mehrzahl der heute Berufstätigen noch nicht erlebt: weder Mitarbeiter, noch Manager, noch deren Familien. Darin verbergen sich Risiko und Chance zugleich.

 

Es geht darum, die Ängste und Sorgen der Menschen in einem Unternehmen wahr- und ernst zu nehmen. Nur wer offen, die vorhandenen Herausforderungen anspricht, die - oft harten - Handlungsnotwendigkeiten argumentiert und die Perspektiven aufzeigt wird die Dynamik der Mitarbeiter hoch halten und Mitstreiter gewinnen. Jeder von ihnen sucht in dieser Phase nach seiner persönlichen Rolle und Perspektive.

 

Die bereits vorab angesprochenen Dimensionen der operativen Bewältigung, der strategischen Ausrichtung und deren Finanzierung sind die Inhalte, die den Mitarbeitern vermittelt werden müssen.

 

Das A und O einer gelungenen Veränderung ist eine klare und transparente Kommunikation auf mehreren Ebenen: einzelne Mitarbeiter, Gruppen, Teams, Stakeholder. Dabei muss klar herausgearbeitet werden, warum etwas geschieht, in welchem Zusammenhang, in welchen Schritten sowie die Ziele, die durch Veränderung erreicht werden sollen. In einzelnen Fällen ist auch die Bekanntgabe eines „Notfallplans" ein wichtiger Schritt für den erforderlichen Vertrauensgewinn. Wissen alle, worum es geht und wie sich die Situation in der Zukunft entwickeln kann, kehrt Ruhe zurück, es wird nach Lösungen und Mitgestaltungsmöglichkeiten gesucht.

 

Das Vorleben der Veränderung - in Ad-hoc-Situationen und in strategischen Prozessen - durch das Management ist ein Kernerfolgsfaktor. Ebenso wichtig ist eine Integration der wichtigsten Leistungsträger, Schlüsselpersonen und informellen Leader in die Realisierung des Vorhabens. Diese Arbeitskräfte geben oft den Ton an und müssen aus diesem Grund gehalten, richtig eingesetzt, motiviert und an das Unternehmen gebunden werden.

 

Entlassungen wirken sich nicht nur auf die betroffenen Mitarbeiter negativ aus, sondern auch auf die verbleibenden Kollegen. In solchen Fällen ist nicht nur eine klare und rechtzeitige Kommunikation wichtig, sondern auch faire und transparente Vorgehensweise. Bevor man zu Freisetzungsmaßnahmen greift, müssen sonstige Alternativen ernsthaft geprüft werden.

 

Ein kontinuierlicher Abgleich der gesetzten Ziele des Unternehmens und der einzelnen Leistungsträger mit den erreichten Erfolgen und dessen Besprechung im Unternehmen schafft Dynamik und weitere Anreize, sich selbst einzubringen. Basis dafür kann der -ohnehin obligatorische - Maßnahmenplan mit klaren Schritten, Zielen und Verantwortungen sein, der von einem Veränderungsbeauftragten geführt wird.

 

„Ausgewogenheit" entscheidet über nachhaltig erfolgreiche Veränderung

 

Veränderung bedeutet für viele Unternehmen in der aktuellen Situation Ad-hoc-Bewältigung der operativen und finanziellen Herausforderungen. Schon aus Mangel an Zeit, finanziellen Mitteln und Ressourcen kann und muss in diesem Zusammenhang in vielen Fällen fokussiert und entschlossen gehandelt werden.

 

Unternehmer, die nachhaltig erfolgreich sind, bleiben sich dennoch dabei der Bedeutung eines ausgewogenen Veränderungsmanagements bewusst. Manchmal genügt dazu schon das Sparring mit einem außenstehenden Partner.

 

Wer über die notwendigen Ressourcen und den Mut verfügt, findet in der Krise den idealen Zeitpunkt, strategische Vorteile zu realisieren. Dazu gehören in diesen Zeiten ein kontrolliertes, systematisches Vorgehen und gegebenenfalls auch die befristete Verstärkung der eigenen Mannschaft.

 

Nachhaltige Veränderungen finden statt, wenn Strategie, Struktur und Verhalten zusammen wirken.

  • Ohne Strategie keine Orientierung!
  • Ohne Orientierung keine Motivation der Mitarbeiter!
  • Ohne Motivation der Mitarbeiter keine Verhaltensänderung!
  • Ohne Verhaltensänderung keine effizienten Operations!
  • Ohne diese Balance keine Finanzierung!

Die Ausgewogenheit dieser Dimensionen und deren Wechselwirkungen sind der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg.